LAURENCE ROGEZ

> homo viator < 
der Mensch auf dem Weg zur Mitte 

Einführungsrede von Christophe Rogez 
Ausstellungen in der Lukaskirche und im Rathaus Gerlingen 
Vom 20.Januar - 3.März 2002


1. Begrüßung 
Liebe Kunstfreunde, ich darf Sie ganz herzlich begrüßen zur Eröffnung der Ausstellung von L. Rogez. Ganz besonders begrüße ich die Gerlinger Kunstfreunde, den Gastgeber Herrn Bürgermeister Brenner. Der Stadt Gerlingen einen herzlichen Dank für die Möglichkeit hier in diesen schönen Räumen und in der Lukaskirche die Ausstellung zeigen zu dürfen mit dem Titel :> Homo Viator <, der Mensch auf dem Weg zur Mitte. 
Der erste Teil der Ausstellung wurde letzten Sonntag in der Lukaskirche eröffnet. Dort hatte Herr Pfarrer Boy einige Arbeiten auf sehr einfühlsame und eindrückliche Weise als Bild-Meditation mit in den Gottesdienst integriert. Auch ihm ganz lieben Dank! 



2. Zur Person 
L. Rogez ist im Straßburg aufgewachsen. Ihre Schule befand sich in unmittelbarer Nähe des Münsters, sie erinnert sich wie ihr Schulweg durch das Kirchenschiff führte. Eindrücke aus Architektur, Skulptur, Fresken- und Glasmalerei waren somit Teil ihres schulischen Alltags. 
Sie entschloss sich zum Kunst- und Malereistudium zunächst in Straßburg, dann in Basel und Bonn, obwohl, wie sie neulich sagte, eher die Architektur und die Philosophie sie anzogen. Antoni Tapies, ein zeitgenössischer Maler aus Barcelona, sagt . " Wer das wahre Wissen besitzt, spricht nicht mehr. Wenn ich Philosoph wäre, würde ich nicht malen, ich würde gar nichts machen. Das wäre das Schweigen des Zen. Aber man sucht ja das Licht, ich habe es noch nicht gefunden und deshalb male ich." 
Vielleicht ist es die Bearbeitung und Verwandlung des toten Stoffes, der dichten Materie, die L. Rogez in der Architektur fasziniert. Auch das Empfinden, dass der Mensch sich selber erbaut durch die Architektur. Die Ursprünge der Baukunst liegen ja in allen Kulturkreisen im sakralen Bereich. Die Philosophie, durch das Licht des Denkens, des Erkennens baut ihrerseits Brücken zwischen den Lebensbereichen, die stets auseinanderzufallen drohen, dem Ich und der Welt. 
Das Erleben und Erleiden dieser Gegensätze, die erwachende Suche nach Vermittlung, Verbindung, Durchdringung führen L. Rogez auch zur Dichtung. Zu ständigen Begleitern werden ihr jene Dichter, die um ein Wort von R.M. Rilke zu gebrauchen, die nüchterne Tatsachenwelt in " Weltinnenraum" verwandeln. 

3. Werk- Entwicklung 

Wer das Werk von L. Rogez kennt, kann verfolgen wie die Suche nach dem Licht, das den Stoff transzendiert auf allen Ebenen des Daseins von Welt und Mensch, zu einer zentralen künstlerischen Herausforderung wird. 
Ganz konsequent mit beinahe wissenschaftlicher Akribie und strenger Arbeitsdisziplin sucht sie nach den geeigneten künstlerischen Mitteln. 
Dies beginnt damit, dass sie ihre Farbe selber herstellt, um möglichst intim an ihrem Entstehungsprozess teilzuhaben. Dann trägt sie die Stofflichkeit mit in das Bild hinein. Ob es selbst gesammelte, eisenoxyd-getönte Erde ist, Fluss- oder Meersand, Holzaschen und verschiedene Beizen, darunter die Nussschalenbeize für den warmen Braunton, ob Halbedelsteinpulver des Lapis lazuli bis zum karätigen Blattgold... die Stoffe werden in den Malprozess mitaufgenommen und sehr differenziert bearbeitet, als wässrige Fließspuren durch gezieltes Bewegen und Drehen der Leinwand, als Ritzungen oder Schichtungen , als Collage. 

Entscheidend dabei ist die spielerische Konzentration, die geführte Hingabe, wobei ihr die asiatischen Meister Vorbild sind. 
Arbeitsmethodisch kommt hinzu, dass L. Rogez seit langem thematisch vorgeht. Ganze Bilder-Zyklen entstehen, die ein Kernmotiv entfalten, umkreisen und verdichten. Als Beispiele seien erwähnt : 

  • die Reihe > 7 Bäume < die die kosmische Planeten-Signatur in den Baumgebärden künstlerisch interpretiert.
  • In dem Zyklus > Hirsch-Weihe < greift die Künstlerin das mythologische Bild des Hirschen auf, dessen Geweih wie Antennen zwischen den Welten vermittelt.
  • Ein weiteres Thema entfaltet sich in der Reihe > In Limine < ,> an der Schwelle < oder > Mors Ultima Ratio < , Tod als letzte Vernunft.
  • In > Lys et Calice < , Lilie und Kelch steht die Blüte in Kreuzform im Licht zwischen Himmel und Erde, auch da findet die große Alchemie von Licht und Stoff statt, die im Menschen sich fortsetzend zur Königslilie wird. Im Mittelalter sprach man vom Königsweg, als der inneren Bestimmung des Menschen.

Auszüge aus diesen umfassenden Zyklen sind chronologisch im Hause von unten nach oben zu sehen und in den Mappen ausführlich dokumentiert. 
1999 unternahm die Künstlerin das außergewöhnliche Projekt 
>365 ENGEL <,das einigen Anwesenden sicher bekannt ist. Auf das Jahr 2000 zuschreitend, malte sie täglich ein Bild, eine art Wächter des Tages. In der Gesamtausstellung dieses aus inneren Bildern konstituierten Jahres-Kalenders erhielt die taktierte, gleichförmige Zeit unserer Uhren Ihre Innenseite zurück. 
  Durch die Partizipation aller Sinne erblühte der Bildreichtum jedes einzelnen Tages und schloss sich in einen großen Jahres-Gesamtbildorganismus. 
Über dieses Projekt und seine Weiterführung in Form von Auftragsbildern können Sie ebenfalls in den Bildmappen etwas erfahren, es gibt auch dazu ein Faltblatt zum mitnehmen. 

4. Labyrinth Wie selbstverständlich steht seit zwei Jahren das Ur-Bild, das Ur-Symbol des Labyrinthes im Zentrum des Schaffens von L. Rogez, fasst es doch alle früheren Themen wie zu einer höheren Einheit zusammen : der Mensch zwischen den Welten auf dem Weg zur Mitte. 
Ganz allgemein scheint auch unsere Zeit das Labyrinth - Bild heraufzubeschwören, man kann von einer Labyrinth-Renaissance sprechen. 
Das uralte Bild, das alle Kulturkreise durchzieht bis in vorgeschichtliche Zeiten, als Felsritzungen in Grabanlagen zum Beispiel, taucht es auf unseren Marktplätzen wieder auf. In Kalifornien hat man es im Eingangsbereich einer Klinik angelegt, als Hilfe für den Patienten vor der Operation. Auch bei der Resozialisierung von Strafgefangenen, in der Kinesiologie wird es angewandt. Logopädische Labyrinthspiele, Videogames in denen der Held sich durchs Labyrinth kämpft, großangelegte Maislabyrinthe... in vielen Bereichen taucht das Bild auf. 
( Nur vor dem Rathaus Gerlingen sah ich es noch nicht ! ) Was kennzeichnet ein Labyrinth? 
Ein Labyrinth ist ein abgegrenzter Raum mit in der Regel einem einzigen Eingang, einem einzigen Weg der zum Zentrum führt. Das Besondere im Unterschied zur Spirale ist, dass das Labyrinth auf engstem Raum den längstmöglichen Weg beschreibt. Als Beispiel : das gotische Labyrinth in der Kathedrale von Chartres hat etwa 12,4 Meter Durchmesser, die Länge des Weges beträgt aber über 260 Meter. Dabei finden auf dem Weg unzählige Umkehrungen, Umwendungen statt. Der Weg verläuft aber ohne Sackgassen, er umkreist im rhythmischen sich-Annähern und sich Entfernen die Mitte, die bei genügender Ausdauer sicher erreicht wird. Das Labyrinth ist also kein Irrgarten. 
Wir sind aufgefordert Labyrinth und Irrgarten, die im Sprachgebrauch verwechselt werden, im Leben zu unterscheiden. Das Internet z.b., Irrgarten in dem man abstürzt oder Labyrinth in dem man sich findet? 

5. > HOMO VIATOR < der Mensch auf dem Weg, 
Am 11. 09 wurde uns erneut bewusst, dass wir uns als Menschheits-Ganzes auf dem Weg befinden. Das Labyrinth stellt vieles in Frage was Grundbestandteil unserer modernen Industriegesellschaften geworden ist, vor allem die fortreißende Beschleunigung in allen Lebensbereichen, das lineare Bewusstsein, das auf dem kürzesten und schnellsten Weg zum Ziel eilt, sowie die grenzenlose Machbarkeit. In Kommunikation, Konsum und Leistung bis hin zum Sport waren dies bislang Garanten des Erfolges. 
Ein chinesisches Sprichwort heißt : 
" Hast du es eilig, so gehe einen Umweg" 
Die Entdeckung der Langsamkeit, die Geduld, die Neugierde, die Beweglichkeit und Selbstbeherrschung sind die Geschenke des Labyrinthes, wenn wir es begehen. Statt Zeit zu gewinnen, sie zu vertreiben oder totzuschlagen, will die Zeit gelebt und gefüllt werden, dadurch kann etwas in uns reifen. Die Renaissance des Labyrinthes heute ist ein Zeichen für einen begonnenen, nötigen Wandel in der Tiefendimension unseres Bewusstseins. Ein bewegliches Denken, das statt auf Positionen zu verharren, stets zum Perspektivewechsel fähig ist, ein Denken das Zusammenhänge erfasst, das isolierte Fakten zu einem lebendigen Ganzen fügt und man kann sagen, ein visionäres, prophetisches Bewusstsein, das Zukunft entwirft, eine Zukunft, für die Mühe sich lohnt, das sind Wege, zu denen das Labyrinth auffordert, dass es auch in der Kunst, speziell in den aktuellen Bildern von L. Rogez zu uns spricht, zeugt davon, dass die Künstlerin ihr Ohr am Puls der Zeit hat. 

Einige Bilder aus ihrem aktuellen Werk möchte ich mit Ihnen gemeinsam anschauen. 

> Labyrinthos 3 <

  • Einstieg von oben, man steigt hinunter in die Tiefe.
  • Über das Bild hinausreichend :
  • Jeder muss den Weg selber gehen.
  • Dieser Individuationsprozess geht notgedrungen durch Krisen, Zweifel und wiederholtes Sterben
  • Damit Neues entstehen kann
  • Aschenbahnen und Lichtbahnen liegen nebeneinander
  • Nacht-Todes-Seite gegen den Sonnenlauf
  • Tag-Lebens-Seite mit dem Sonnenlauf

Gesetzmäßigkeit des Weges in sich rhythmisiert 
Nach außen - nach innen - nach außen - nach innen 

Kretisches Labyrinth auf Münzen 

  • Theseus, der den Minotaurus bezwingt : das Tier in der eigenen Seele verwandeln
  • hinuntersteigen in die Selbsterkenntnis ( Liebe = Faden - " wähle Aphrodite, die Göttin der Liebe, zu deiner Führerin"

> Labyrinthos 4 <

  • Stoff selber als Farbe - reines Pigment - leuchtendes, warmes Blau - mütterliches Element
  • 1. Labyrinth = Uterus - Geburtsmotiv - Neugeburt nach dem Tiefgang
  • dargestellt ist der Weg durch das Labyrinth = der Faden der Ariadne
  • embryonale Hülle - weiblich-seelische Seite - schützend, wärmend, empfangend
  • Motiv der Schale
  • Bild der Tänzerin
  • Quadratur des Kreises - Kreuz und Kreis = Erde und Himmel vermählen
  • Mensch und Gott / Männliches und Weibliches sich vermählen
  • Ariadne - Aphrodite ( siehe Orakelspruch an Theseus )

> Labyrinthus 1 <

    • Kontinuität des Bewusstseins in der Menscheitsgeschichte
    • Vorchristliche Labyrinthe mit dem nachchristlichen verbunden , auch da eine Brücke zwischen den Welten.
    • Gewachsenes Kreuz, über ganzes Labyrinth - Kreuz mit der aufgerichteten, alle Weltendimensionen umfassenden Menschengestalt.
    • Kreuz als Heilzeichen, als Integration aller Dimensionen
    • Durchdringung der Kräfte, daraus neue Mitte erblühend.
    • Labyrinth von Chartres:
    • Pilgerweg
    • Weg durch die Architektur: Aufstieg - Altar spiegelnd - Läuterung
    • Rosenfenster - Wenden am Kreuz, der Lebensweg wird zum Schicksalsweg : die Erfahrungen, Begegnungen auf dem Weg sind es, die zur Reifung und zur Blume der Mitte führen.
    • Der Weg wird heilig
    • Vieles über die Zahlensymbolik : 4 x 7 = 28 Umkehrungen

 

                                                                    11 Umläufe + 1 

 

                                                                   6

> Erde - Asche - Gold < Triptychon 

    • reine Stoffe
    • wiederkehrendes Kreuz durchzieht, umspannt / Weltenachse
    • Schale im Kreuzungspunkt
    • Labyrinth führt zum Ich : jetzt wird es zur Schale("Muot-Dienemuot")
    • Erde / Sand : Wärme des Mütterlichen 

 

      Asche : Fließspuren - Form auflösend - Tränengefäß 

 

    Gold : Goldglanz - Asche grundiert

Entstehung der Bilder : im Unterschied zur sonstigen Arbeitsweise im voraus konzipiert - 10.09. 2001 + 11.09 am Morgen : Erde- Bild - 11.09 Nachmittag nur Aschen / erst am Abend erfuhr sie von den apokalyptischen Ereignissen. Die Künstlerin hatte intuitiv etwas erfasst, das Erschreckende für sie war, dass sie die Bilder in der Reihenfolge geplant hatte. 

> HOMO VIATOR < 

  • auch ein Triptychon : Mittelbild und Doppelflügel
  • reduzierte Form- und Farbelemente auf schwarzem Untergrund
  • in 5 Stationen
  • Labyrinth als durchgehendes Motiv wie Gestirn ab und aufsteigend
  • Lebenselement / Vertikalität : 7 Fach rhythmisiert
  • Labyrinth : goldene Sphäre leuchtend vom Schwarzgrund sich abhebend
  • unvermittelt, dichtestes und undurchdringliches fast materielles Schwarz / leuchtendes Gold-Licht als Wärme + Licht
  • ganz außen das T / Helm / Schale -umgekehrter Helm ( männlicher + weiblicher Pol)
  • schwarzes Tau : Kreuz der Erdpunkte, auseinandergelegt in 2+4 - 3 Verticale - Horizontale Exaltation - ampleur
  • Raumverschiebung des Labyrinthes . man schaut auf das Labyrinth über sich im 1. Bildteil, unter sich im 2.+ 3. Bildteil, vor sich im 3. + 4.Bildteil - Weg zur Mitte
  • Bildteil 1: kosmische, paradiesische Stufe Labyrinth schwebt wie Geist Gottes über den Wassern, empfangende Erde - Lebensbaum. Gleichgewichts-Urzustand.
  • Bildteil 2: gewaltiger Schritt, Vertikalisierung. Helm : Kampf, Eisen gründet die materielle Kultur aber hier golden- geistiger Kampf, geistiger Herrscher auf seinem Lebensweg ( Rolandslied - blühende Lanzen + Epheser Brief 6,10)

Was ist geschehen zwischen Bildteil 1 und Bildteil 2 und ist ungemalt? Im Durchwandern des Triptychons, der Einzelbilder und ihrer Intervalle der Verwandlung nachlauschend, durch Verlangsamung, der Vielschichtigkeit behutsam aber ausdauernd nachgehen. Das Bild ernst nehmen, nicht die Bedeutung außerhalb suchen ( kann jeder nur allein, aber kann es auch.) 
Dadurch entsteht im Betrachter ein Neues. Er geht selbst den dargestellten Weg, schaut nicht nur von außen, sondern schreitet auf ihm... auf dem Weg zu seiner Mitte. 
" Denn wir sind nur die Schale und das Blatt. 
Der große Tod, den jeder in sich hat, 
das ist die Frucht, um die sich alles dreht". R.M. Rilke 

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